Deutsche Lyrik

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Ernst Moritz Arndt
* 1769 in Schoritz auf Rügen
+ 1860 in Bonn

Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
Der wollte keine Knechte,
Drum gab er Säbel, Schwert und Spieß
Dem Mann in seine Rechte,
Drum gab er ihm den kühnen Mut,
Den Zorn der freien Rede,
Daß er bestände bis aufs Blut,
Bis in den Tod die Fehde.

So wollen wir, was Gott gewollt,
Mit rechter Treue halten
Und nimmer im Tyrannensold
Die Menschenschädel spalten;
Doch wer für Tand und Schande ficht,
den hauen wir zu Scherben,
Der soll im deutschen Lande nicht
Mit deutschen Männern erben.

O Deutschland, heilges Vaterland!
O deutsche Lieb und Treue!
Du hohes Land! du schönes Land!
Dir schwören wir aufs neue:
Dem Buben und dem Knecht die Acht!
Der füttre Krähn und Raben!
So ziehn wir aus zur Hermannsschlacht
Und wollen Rache haben.

Laßt brausen, was nur brausen kann,
In hellen lichten Flammen!
Ihr Deutschen alle, Mann für Mann,
Fürs Vaterland zusammen!
Und hebt die Herzen himmelan!
Und himmelan die Hände!
Und rufet alle Mann für Mann:
Die Knechtschaft hat ein Ende!

Laßt klingen, was nur klingen kann,
Die Trommeln und die Flöten!
Wir wollen heute Mann für Mann
Mit Blut das Eisen röten,
Mit Henkerblut, Franzosenblut --
O süßer Tag der Rache!
Das klinget allen Deutschen gut,
Das ist die große Sache.

Laßt wehen, was nur wehen kann,
Standarten wehn und Fahnen!
Wir wollen heut uns Mann für Mann
Zum Heldentode mahnen:
Auf! Fliege, stolzes Siegspanier
Voran dem kühnen Reihen!
Wir siegen oder sterben hier
Den süßen Tod der Freien.

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Joseph von Eichendorff * 1788 auf Schloß Lubowitz bei Ratibor/Schlesien + 1857 in Neiße An die Lützowschen Jäger Wunderliche Spießgesellen Denkt ihr noch an mich, Wie wir an der Elbe Wellen Lagen brüderlich. Wie wir in des Spreewalds Hallen, Schauer in der Brust, Hell die Hörner ließen schallen So zu Schreck wie Lust? Mancher mußte da hinunter Unter den Rasen grün, Und der Krieg und Frühling munter Gingen über ihn. Wo wir ruhen, wo wir wohnen: Jener Waldeshort Rauscht mit seinen grünen Kronen Durch mein Leben fort.

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Auf einer Burg Eingeschlafen auf der Lauer Oben ist der alte Ritter; Drüber gehen Regenschauer, Und der Wald rauscht durch das Gitter. Eingewachsen Bart und Haare, Und versteinert Brust und Krause, Sitzt er viele hundert Jahre Oben in der stillen Klause. Draußen ist es still und friedlich, Alle sind ins Tal gezogen, Waldesvögel einsam singen In den leeren Fensterbogen. Eine Hochzeit fährt da unten Auf dem Rhein im Sonnenscheine, Musikanten spielen munter, Und die schöne Braut die weinet.

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Das zerbrochene Ringlein In einem kühlen Grunde Da geht ein Mühlenrad, Meine Liebste ist verschwunden, Die dort gewohnet hat. Sie hat mir Treu versprochen, Gab mir ein´n Ring dabei, Sie hat die Treu gebrochen, Mein Ringlein sprang entzwei. Ich möcht als Spielmann reisen Weit in die Welt hinaus, Und singen meine Weisen, Und gehn von Haus zu Haus. Ich möcht als Reiter fliegen Wohl in die blutge Schlacht, Um stille Feuer liegen Im Feld bei dunkler Nacht. Hör ich das Mühlrad gehen: Ich weiß nicht, was ich will - Ich möcht am liebsten sterben, Da wär´s auf einmal still!

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Der frohe Wandersmann Wem Gott will rechte Gunst erweisen, Den schickt er in die weite Welt; Dem will er seine Wunder weisen In Berg und Wald und Strom und Feld. Die Trägen, die zu Hause liegen, Erquicket nicht das Morgenrot, Sie wissen nur von Kinderwiegen, Von Sorgen, Last und Not um Brot. Die Bächlein von den Bergen springen, Die Lerchen schwirren hoch vor Lust, Was sollt ich nicht mit ihnen singen Aus voller Kehl und frischer Brust? Den lieben Gott laß ich nur walten; Der Bächlein, Lerchen, Wald und Felt Und Erd und Himmel will erhalten, Hat auch mein Sach aufs best bestellt!

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Der Jäger Abschied Wer hat dich du schöner Wald Aufgebaut so hoch da droben? Wohl den Meister will ich loben, So lang noch mein´ Stimm´ erschallt. Lebe wohl, Lebe wohl, du schöner Wald! Tief die Welt verworren schallt, Oben einsam Rehe grasen, Und wir ziehen fort und blasen, Daß es tausendfach verhallt: Lebe wohl, Lebe wohl, du schöner Wald! Banner, der so kühle wallt! Unter deinen grünen Wogen Hast du treu uns auferzogen. Frommer Sagen Aufenthalt! Lebe wohl, Lebe wohl, du schöner Wald! Was wir still gelobt im Wald, Wollen´s draußen ehrlich halten, Ewig bleiben treu die Alten: Deutsch Panier, das rauschend wallt, Lebe wohl! Schirm´ dich Gott, du schöner Wald!

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In Danzig Dunkle Giebel, hohe Fenster, Türme tief aus Nebeln sehn, Bleiche Statuen wie Gespenster Lautlos an den Türen stehn. Träumerisch der Mond drauf scheinet, Dem die Stadt gar wohl gefällt, Als läg zauberhaft versteinet Drunten eine Märchenwelt. Ringsher durch das tiefe Lauschen, Über alle Häuser weit, Nur des Meeres fernes Rauschen - Wunderbare Einsamkeit! Und der Türmer wie vor Jahren Singet ein uraltes Lied: Wolle Gott den Schiffer wahren, Der bei Nacht vorüberzieht!

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Jahrmarkt Sinds die Häuser, sinds die Gassen? Ach, ich weiß nicht wo ich bin! Hab ein Liebchen hier gelassen, Und manch Jahr ging seitdem hin. Aus den Fenstern schöne Frauen Sehn mir freundlich ins Gesicht, Keine kann so frischlich schauen, Als mein liebes Liebchen sicht. An dem Hause poch ich bange - Doch die Fenster stehen leer, Ausgezogen ist sie lange, Und es kennt mich keiner mehr. Und ringsum ein Rufen, Handeln, Schmucke Waren, bunter Schein, Herrn und Damen gehn und wandeln Zwischendurch in bunten Reihn. Zierlich Bücken, freundlich Blicken, Manches flüchtge Liebeswort, Händedrücken, heimlich Nicken - Nimmt sie all der Strom mit fort. Und mein Liebchen sah ich eben Traurig in dem lustgen Schwarm, Und ein schöner Herr daneben Führt´ sie stolz und ernst am Arm. Doch verblaßt war Mund und Wange, Und gebrochen war ihr Blick, Seltsam schaut´ sie stumm und lange, Lange noch auf mich zurück. - Und es endet Tag und Schmerzen, Durch die Gassen pfeift der Wind - Keiner weiß, wie unsre Herzen Tief vom Schmerz zerrissen sind.

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Mondnacht Es war, als hätt´ der Himmel Die Erde still geküßt, Daß sie im Blüten-Schimmer Von ihm nun träumen müßt´. Die Luft ging durch die Felder, Die Ähren wogten sacht, Es rauschten leis die Wälder, So sternklar war die Nacht. Und meine Seele spannte Weit ihre Flügel aus, Flog durch die stillen Lande, Als flöge sie nach Haus.

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Nachts Ich wandre durch die stille Nacht, Da schleicht der Mond so heimlich sacht Oft aus der dunklen Wolkenhülle, Und hin und her im Tal Erwacht die Nachtigall, Dann wieder alles grau und stille. O wunderbarer Nachtgesang: Von fern im Land der Ströme Gang, Leis Schauern in den dunklen Bäumen - Wirrst die Gedanken mir, Mein irres Singen hier Ist wie ein Rufen nur aus Träumen.

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Vor der Stadt Zwei Musikanten ziehn daher Vom Wald aus weiter Ferne, Der eine ist verliebt gar sehr, der andre wär es gerne. Die stehn allhier im kalten Wind Und singen schön und geigen: Ob nicht ein süßverträumtes Kind Am Fenster sich wollt zeigen?

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Weihnachten Markt und Straßen stehn verlassen, Still erleuchtet jedes Haus, Sinnend geh ich durch die Gassen, Alles sieht so festlich aus. An den Fenstern haben Frauen Buntes Spielzeug fromm geschmückt, Tausend Kindlein stehn und schauen, Sind so wunderstill beglückt. Und ich wandre aus den Mauern Bis hinaus ins freie Feld, Hehres Glänzen, heilges Schauern! Wie so weit und still die Welt! Sterne hoch die Kreise schlingen, Aus des Schnees Einsamkeit Steigts wie wunderbares Singen - O du gnadenreiche Zeit!

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Wünschelrute Schläft ein Lied in allen Dingen, Die da träumen fort und fort, Und die Welt hebt an zu singen, Triffst Du nur das Zauberwort.

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Friedrich Hauff * 29. November 1802 in Stuttgart + 18. November 1827 in Stuttgart Reiters Morgengesang Morgenrot, Leuchtest mir zum frühen Tod? Bald wird die Trompete blasen, Dann muß ich mein Leben lassen, Ich und mancher Kamerad. Kaum gedacht, War der Lust ein End gemacht! Gestern noch auf stolzen Rossen, Heute durch die Brust geschossen, Morgen in das kühle Grab. Ach, wie bald Schwindet Schönheit und Gestalt! Tust du stolz mit deinen Wangen, Die wie Milch und Purpur prangen? Ach, die Rosen welken all! Darum still Füg ich mich, wie Gott es will. Nun, so will ich wacker streiten, Und sollt ich den Tod erleiden, Stirbt ein braver Reitersmann.

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Friedrich Hebbel * 1813 in Wesselburen/Holstein + 1863 in Wien Herbstbild Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah! Die Luft ist still, als atmete man kaum, Und dennoch fallen raschelnd, fern und nah, Die schönsten Früchte ab von jedem Baum. O störe sie nicht, die Feier der Natur! Dies ist die Lese, die sie selber hält, Denn heute löst sich von den Zweigen nur, Was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.

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Heinrich Heine * 1797 in Düsseldorf + 1856 in Paris Anfangs wollt ich fast verzagen, Ind ich glaubt, ich trüg es nie; Und ich hab es doch getragen --- Aber fragt mich nur nicht, wie?

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Das Fräulein stand am Meere Und seufzte lang und bang, Es rührte sie so sehre Der Sonnenuntergang. Mein Fräulein! sein Sie munter, Das ist ein altes Stück; Hier vorne geht sie unter Und kehrt von hinten zurück.

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Die schlesischen Weber Im düstern Auge keine Träne, Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne: Deutschland, wie weben dein Leichentuch, Wir weben hinein den dreifachen Fluch - Wir weben, wir weben! Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten In Winterskälte und Hungersnöten; Wir haben vergebens gehofft und geharrt, Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt - Wir weben, wir weben! Ein Fluch dem König, dem König der Reichen, Den unser Elend nicht konnte erweichen, Der den letzten Groschen von uns erpreßt Und uns wie Hunde erschießen läßt - Wir weben, wir weben! Ein Fluch dem falschen Vaterlande, Wo nur gedeihen Schmach und Schande, Wo jede Blume früh geknickt, Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt - Wir weben, wir weben! Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht, Wir weben emsig Tag und Nacht - Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch, Wir weben hinein den dreifachen Fluch, Wir weben, wir weben!

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Die Wanderratten Es gibt zwei Sorten Ratten: Die hungrigen und satten. Die satten bleiben vergnügt zu Haus, Die hungrigen aber wandern aus. Sie wandern viel tausend Meilen, Ganz ohne Rasten und Weilen, Gradaus in ihrem grimmigen Lauf, Nicht Wind noch Wetter hält sie auf. Sie klimmen wohl über die Höhen, Sie schwimmen wohl über die Seen; Gar manche ersäuft oder bricht das Genick, Die lebenden lassen die toten zurück. Es haben diese Käuze Gar fürchterliche Schnäuze; Sie tragen die Köpfe geschoren egal, Ganz radikal, ganz rattenkahl. Die radikale Rotte Weiß nichts von einem Gotte. Sie lassen nicht taufen ihre Brut, Die Weiber sind Gemeindegut. Der sinnliche Rattenhaufen, Er will nur fressen und saufen, Er denkt nicht, während er säuft und frißt, Daß unsre Seele unsterblich ist. So eine wilde Ratze, Die fürchtet nicht Hölle, nicht Katze; Sie hat kein Gut, sie hat kein Geld Und wünscht aufs Neue zu teilen die Welt. Die Wanderratten, o wehe! Sie sind schon in der Nähe. Sie rücken heran, ich höre schon Ihr Pfeifen -- die Zahl ist Legion. O wehe! wir sind verloren, Sie sind schon vor den Toren! Die Bürgermeister und Senat, Sie schütteln die Köpfe, und Keiner weiß Rat. Die Bürgerschaft greift zu den Waffen, Die Glocken läuten die Pfaffen. Gefährdet ist das Palladium Des sittlichen Staats, das Eigentum. Nicht Glockengeläute, nicht Pfaffengebete, Nicht hochwohlweise Senatsdekrete, Auch nicht Kanonen, viel Hundertpfünder, Sie helfen euch heute, ihr lieben Kinder! Heut helfen euch nicht die Wortgespinste Der abgelebten Redekünste. Man fängt nicht Ratten mit Syllogismen, Sie springen über die feinsten Sophismen. Im hungrigen Magen Eingang finden Nur Suppenlogik mit Knödelgründen, Nur Argumente von Rinderbraten, Begleitet von Göttinger Wurstzitaten. Ein schweigender Stockfisch, in Butter gesotten, Behaget den radikalen Rotten Viel besser als ein Mirabeau Und alle Redner seit Cicero.

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Ein Jüngling liebt ein Mädchen, Die hat einen andern erwählt; Der andre liebt eine andre, Und hat sich mit dieser vermählt. Das Mädchen heiratet aus Ärger Den ersten besten Mann, Der ihr in den Weg gelaufen; Der Jüngling ist übel dran. Es ist eine alte Geschichte, Doch bleibt sie immer neu; Und wem sie just passieret, Dem bricht das Herz entzwei.

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Es blasen die blauen Husaren, Und reiten zum Tor hinaus; Da komm ich, Geliebte, und bringe Dir einen Rosenstrauß. Das war eine wilde Wirtschaft, Viel Volk und Kriegesplag´! Sogar in deinem Herzchen Viel Einquartierung lag.

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Ich steh auf des Berges Spitze, Und werde sentimental. »Wenn ich ein Vöglein wäre!« Seufz ich viel tausendmal. Wenn ich eine Schwalbe wäre, So flög ich zu dir, mein Kind, Und baute mir mein Nestchen, Wo deine Fenster sind. Wenn ich ein Nachtigall wäre, So flög ich zu dir, mein Kind, Und sänge dir nachts meine Lieder Herab von der grünen Lind. Wenn ich ein Gimpel wäre, So fläg ich gleich an dein Herz; Du bist ja hold den Gimpeln, Und heilest Gimpelschmerz.

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Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, Daß ich so traurig bin; Ein Märchen aus alten Zeiten, Das kommt mir nicht aus dem Sinn. Die Luft ist kühl und es dunkelt, Und ruhig fließt der Rhein; Der Gipfel des Berges funkelt Im Abendsonnenschein. Die schönste Jungfrau sitzet Dort oben wunderbar, Ihr goldnes Geschmeide blitzet, Sie kämmt ihr goldenes Haar. Sie kämmt es mit goldenem Kamme, Und singt ein Lied dabei; Das hat ein wundersame, Gewaltige Melodei. Den Schiffer im kleinen Schiffe Ergreift es mit wildem Weh; Er schaut nicht die Felsenriffe, Er schaut nur hinauf in die Höh. Ich glaube, die Wellen verschlingen Am Ende Schiffer und Kahn; Und das hat mit ihrem Singen Die Lore-Lei getan.

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Im wunderschönen Monat Mai, Als alle Knospen sprangen, Da ist in meinem Herzen Die Liebe aufgegangen. Im wunderschönen Monat Mai, Als alle Vögel sangen, Da hab ich ihr gestanden Mein Sehnen und Verlangen.

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Leise zieht durch mein Gemüt Liebliches Geläute. Klinge, kleines Frühlingslied, Kling hinaus ins Weite. Kling hinaus, bis an das Haus, Wo die Blumen sprießen. Wenn du eine Rose schaust, Sag, ich laß sie grüßen.

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Mein Herz, mein Herz ist traurig, Doch lustig leuchtet der Mai; Ich stehe, gelehnt an der Linde, Hoch auf der alten Bastei. Da drunten fließt der blaue Stadtgraben in stiller Ruh; Ein Knabe fährt im Kahne, Und angelt und pfeift dazu. Jenseits erheben sich freundlich, In winziger, bunter Gestalt, Lusthäuser, und Gärten, und Menschen, Und Ochsen, und Wiesen, und Wald. Die Mägde bleichen Wäsche, Und springen im Gras herum: Das Mühlrad stäubt Diamanten, Ich höre sein fernes Gesumm. Am alten grauen Turme Ein Schilderhäuschen steht; Ein rotgeröckter Bursche Dort auf und nieder geht. Er spielt mit seiner Flinte, Die funkelt im Sonnenrot, Er präsentiert und schultert --- Ich wollt, er schösse mich tot.

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Nachtgedanken Denk ich an Deutschland in der Nacht, Dann bin ich um den Schlaf gebracht, Ich kann nicht mehr die Augen schließen, Und meine heißen Tränen fließen. Die Jahre kommen und vergehn! Seit ich die Mutter nicht gesehn, Zwölf Jahre sind schon hingegangen; Es wächst mein Sehnen und Verlangen. Mein Sehnen und Verlangen wächst. Die alte Frau hat mich behext, Ich denke immer an die alte, Die alte Frau, die Gott erhalte! Die alte Frau hat mich so lieb, Und in den Briefen, die sie schrieb, Seh ich, wie ihre Hand gezittert, Wie tief das Mutterherz erschüttert. Die Mutter liegt mir stets im Sinn. Zwölf Jahre flossen hin, Zwölf lange Jahre sind verflossen, Seit ich sie nicht ans Herz geschlossen. Deutschland hat ewigen Bestand, Es ist ein kerngesundes Land, Mit seinen Eichen, seinen Linden Werd ich es immer wiederfinden. Nach Deutschland lechzt ich nicht so sehr, Wenn nicht die Mutter dorten wär; Das Vaterland wird nie verderben, Jedoch die alte Frau kann sterben. Seit ich das Land verlassen hab, So viele sanken dort ins Grab, Die ich geliebt - wenn ich sie zähle, So will verbluten meine Seele. Und zählen muß ich - Mit der Zahl Schwillt immer höher meine Qual, Mir ist, als wälzten sich die Leichen Auf meine Brust - Gottlob! Sie weichen! Gottlob! Durch meine Fenster bricht Französisch heitres Tageslicht; Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen, Und lächelt fort die deutschen Sorgen.

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Warnung Solche Bücher läßt du drucken! Teurer Freund, du bist verloren! Willst du Geld und Ehre haben, Mußt du dich gehörig ducken. Nimmer hätt ich dir geraten, So zu sprechen vor dem Volke, So zu sprechen von den Pfaffen Und von hohen Potentaten! Teuer Freund, du bist verloren! Fürsten haben lange Arme, Pfaffen haben lange Zungen, Und das Volk hat lange Ohren!

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Weltlauf Hat man viel, so wird man bald Noch viel mehr dazu bekommen. Wer nur wenig hat, dem wird Auch das wenige genommen. Wenn du aber gar nichts hast, Ach, so lasse dich begraben -- Denn ein Recht zum Leben, Lump, Haben nur, die etwas haben.

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Wer zum erstenmale liebt, Sei´s auch glücklos, ist ein Gott; Aber wer zum zweitenmale Glücklos liebt, der ist ein Narr. Ich, ein solcher Narr, ich liebe Wieder ohne Gegenliebe! Sonne, Mond und Sterne lachen, Und ich lache mit --- und sterbe.

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Luise Hensel * 1798 in 30.3.1798 in Linum bei Fehrbellin + 1876 in 18.12.1876 in Paderborn Abendlied (1816) Müde bin ich, geh zur Ruh Schließe beide Augen zu - Vater! laß die Augen dein Über meinem Bette sein. Hab ich Unrecht heut getan Sieh es, lieber Gott! nicht an; Deine Gnad´ und Jesu Blut Machen allen Schaden gut. Alle, die mir sind verwandt, Gott! laß ruhn in deiner Hand. Alle Menschen groß und klein Sollen dir befohlen sein. Müden Herzen sende Ruh, Nasse Augen schließe zu Laß den Mond am Himmel stehn Und die stille Welt besehn.

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Beim Lesen der heiligen Schrift Immer muß ich wieder lesen In dem alten heil´gen Buch; Wie der Herr so sanft gewesen, Ohne Arg und ohne Trug. Wie Er hieß die Kindlein kommen, Wie Er hold auf sie geblickt, Uns sie in den Arm genommen, Und sie an die Brust gedrückt. Wie Er Hilfe und Erbarmen Allen Kranken gern bewies, Und die Blöden, und die Armen Seine lieben Brüder hieß. Wie Er keinem Sünder wehrte, Der mit Liebe zu ihm kam; Wie Er freundlich ihn belehrte, Ihm den Tod vom Herzen nahm. Immer muß ich wieder lesen, Les und weine mich nicht satt, Wie Er ist so treu gewesen, Wie Er uns geliebet hat. Hat die Herde sanft geleitet, Die sein Vater ihm verliehn, Hat die Arme ausgebreitet, Alle an sein Herz zu ziehn. Laß mich knien zu Deinen Füßen. Herr, die Liebe bricht mein Herz; Laß in Tränen mich zerfließen, Untergehn in Wonn´ und Schmerz.

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Detlev von Liliencron * 1844 in Kiel + 1909 in Alt-Rahlstedt bei Hamburg Tod in Ähren Im Weizenfeld, in Korn und Mohn, Liegt ein Soldat, unaufgefunden, Zwei Tage schon, zwei Nächte schon, Mit schweren Wunden, unverbunden. Durstüberquält und fieberwild, Im Todeskampf den Kopf erhoben. Ein letzter Traum, ein letztes Bild; Sein brechend Auge schlägt nach oben. Die Sense sirrt im Ährenfeld, Er sieht sein Dorf im Arbeitsfrieden, Ade, Ade, du Heimatwelt -- Und beugt das Haupt und ist verschieden.

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Christian Morgenstern * 1871 in München + 1914 in Meran Das ästhetische Wiesel

Ein Wiesel
saß auf einem Kiesel
inmitten Bachgeriesel.

Wißt ihr
weshalb?

Das Mondkalb
verriet es mir
im Stillen:

Das raffinier-
te Tier
tats um des Reimes willen.

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Der Tanz Ein Vierviertelschwein und eine Auftakteule trafen sich im Schatten einer Säule, die im Geiste ihres Schöpfers stand. Und zum Spiel der Fiedelbogenpflanze reichten sich die zwei zum Tanze Fuß und Hand. Und auf seinen dreien rosa Beinen hüpfte das Vierviertelschwein graziös, und die Auftakteul auf ihrem einen wiegte rhythmisch ihr Gekrös. Und der Schatten fiel, und der Pflanze Spiel klang verwirrend melodiös. Doch des Schöpfers Hirn war nicht von Eisen, und die Säule schwand, wie sie gekommen war, und so mußte denn auch unser Paar wieder in sein Nichts zurücke reisen. Einen letzten Strich tat der Geigerich -- und dann war nichts weiter zu beweisen.

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Die Fingur Es lacht die Nachtalp-Henne, es weint die Windhorn-Gans, es bläst der schwarze Senne zum Tanz. Ein Uhu-Tauber turtelt nach seiner Uhuin. Ein kleiner Sechs-Elf hurtelt von Busch zu Busch dahin... Und Weidergänger gehen, und Raben rufen kolk, und aus den Teichen sehen die Fingur und ihr Volk...

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Die Trichter

Zwei Trichter wandeln durch die Nacht.
Durch ihres Rumpfs verengten Schacht
fließt weißes Mondlicht
still und heiter
auf ihren
Waldweg
u. s.
w.

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Erster Schnee Aus silbergrauen Gründen tritt ein schlankes Reh im winterlichen Wald und prüft vorsichtig, Schritt für Schritt, den reinen, kühlen, frischgefallenen Schnee. Und deiner denk ich, zierlichste Gestalt.

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Fisches Nachtgesang - U U - - - U U U U - - - U U U U - - - U U U U - - - U U U U - - - U U - -- [Besser von der Seite zu sehen, Blickrichtung --> J.V.] -- ( ( ( ( | | | | | ( ( ( ( ( ( | | | | | | | ( ( ( ( ( ( | | | | | ( ( ( (

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Gruselett Der Flügelflagel gausert durchs Wiruwaruholz, die rote Fingur plaustert, und grausig gutzt der Golz.

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Igel und Agel

Ein Igel saß auf einem Stein
und blies auf einem Stachel sein.
Schalmeiala, schalmeialü!
Da kam sein Feinslieb Agel
und tat ihm schnigel schnagel
zu seinen Melodein.
Schnigula schnagula
schnaguleia lü!

Das Tier verblies sein Flötenhemd ...
»Wie siehst du aus so furchtbar fremd!?«
Schalmeiala, schalmeialü --.
Feins-Agel ging zum Nachbar, ach!
Den Igel aber hat der Bach
zum Weiher fortgeschwemmt.
Wigula wagula
waguleia wü
tü tü...

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Möwenlied Die Möwen sehen alle aus, als ob sie Emma hießen. Sie tragen einen weißen Flaus und sind mit Schrot zu schießen. Ich schieße keine Möwe tot, ich laß sie lieber leben -- und füttre sie mit Roggenbrot unt rötlichen Zibeben. O Mensch, du wirst nie nebenbei der Möwe Flug erreichen. Wofern du Emma heißest, sei zufrieden, ihr zu gleichen.

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Vice Versa Ein Hase sitzt auf einer Wiese, des Glaubens, niemand sähe diese. Doch, im Besitze eines Zeißes, betrachtet voll gehaltnen Fleißes vom vis--à--vis gelegnen Berg ein Mensch den kleinen Löffelzwerg. Ihn aber blickt hinwiederum ein Gott von fern an, mild und stumm.

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Eduard Mörike * 1804 in Ludwigsburg + 1875 in Stuttgart Er ist´s Frühling läßt sein blaues Band Wieder flattern durch die Lüfte; Süße, wohlbekannte Düfte Streifen ahnungsvoll das Land. Veilchen träumen schon, Wollen balde kommen. -- Horch, von fern ein leiser Harfenton! Frühling, ja du bist´s! Dich hab ich vernommen!

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Wilhelm Müller * 1794 in Dessau + 1827 in Dessau Der greise Kopf Der Reif hatt einen weißen Schein Mir übers Haar gestreuet. Da meint ich schon ein Greis zu sein Und hab mich sehr gefreuet. Doch bald ist er hinweggetaut, Hab wieder schwarze Haare, Daß mir´s vor meiner Jugend graut -- Wie weit noch bis zur Bahre! Vom Abendrot zum Morgenlicht Ward mancher Kopf zum Greise. Wer glaubt´s? Und meiner ward es nicht Auf dieser ganzen Reise!

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Der Lindenbaum Am Brunne vor dem Tore Da steht ein Lindenbaum. Ich träumt in seinem Schatten So manchen süßen Traum. Ich schnitt in seine Rinde So mansches liebe Wort, Es zog in Freud und Leide Zu ihm mich immer fort. Ich mußt auch heute wandern Vorbei in tiefer Nacht, Da hab ich noch im Dunkeln Die Augen zugemacht. Und seine Zweige rauschten, Als riefen sie mir zu: Komm her zu mir, Geselle, Hier findst Du deine Ruh! Die kalten Winde bliesen Mit grad ins Angesicht, Der Hut flog mir vom Kopfe, Ich wendete mich nicht. Nun bin ich manche Stunde Entfernt von jenem Ort, Und immer hör ich´s rauschen: Du fändest Ruhe dort!

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Wanderschaft Das Wandern ist des Müllers Lust, Das Wandern! Das muß ein schlechter Müller sein, Dem niemals fiel das Wandern ein, Das Wandern. Vom Wasser haben wir´s gelernt, Vom Wasser! Das hat nicht Rast bei Tag und Nacht, Ist stets auf Wanderschaft bedacht, Das Wasser. Das sehn wir auch den Rädern ab, Den Rädern! Die gar nicht gerne stille stehn Und sich mein Tag nicht müde drehn, Die Räder. Die Sterne selbst, so schwer sie sind, Die Sterne! Sie tanzen in den muntern Reihn Und wollen gar noch schneller sein, Die Sterne! O Wandern, Wandern, meine Lust, O Wandern! Herr Meister und Frau Meisterin, Laßt mich in Frieden weiterziehn Und wandern!

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Rainer Maria Rilke * 1875 in Prag + 1926 in Val-Mont bei Montreux/Schweiz Der Panther Im jardin des Plantes, Paris Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, daß er nichts mehr hält. Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt. Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht, ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein großer Wille steht. Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein, geht durch der Glieder angespannte Stille - und hört im Herzen auf zu sein.

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Herbsttag Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren laß die Winde los. Befiehl den letzten Früchten voll zu sein; gieb ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein. Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

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Schlußstück Der Tod ist groß. Wir sind de Seinen lachenden Munds. Wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen mitten in uns.

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Johann Gaudenz von Salis-Seewis * 1762 auf Schloß Bothmar bei Malans/Graubünden + 1834 in Malans Herbstlied Bund sind schon die Wälder, Gelb die Stoppelfelder, Und der Herbst beginnt. Rote Blätter fallen, Graue Nebel wallen, Kühler weht der Wind. Wie die volle Traube Aus dem Rebenlaube Purpurfarbig strahlt! Am Geländer reifen Pfirsiche mit Streifen Rot und weiß bemalt. Sieh! Wie hier die Dirne Emsig Pflaum und Birne In ihr Körbchen legt, Dort mit leichten Schritten Jene goldnen Quitten In den Landhof trägt! Flinke Träger springen, Und die Mädchen singen, Alles jubelt froh! Bunte Bänder schweben Zwischen hohen Reben Auf dem Hut von Stroh. Geige tönt und Flöte Bei der Abendröte Und im Mondenglanz; Junge Winzerinnen Winken und beginnen Deutschen Ringeltanz.

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Christian Friedrich Daniel Schubart * 1739 in Obersontheim/Württemberg + 1791 in Stuttgart Die Forelle In einem Bächlein helle. Da schoß in froher Eil Die launische Forelle Vorüber wie ein Pfeil. Ich stand an dem Gestade Und sah in süßer Ruh Des muntern Fisches Bade Im klaren Bächlein zu. Ein Fischer mit der Rute Wohl an dem Ufer stand Und sah´s mit kaltem Blute, Wie sich das Fischlein wand. So lang dem Wasser Helle, So dacht ich, nicht gebricht, So fängt er die Forelle Mit seiner Angel nicht. Doch plötzlich ward dem Diebe Die Zeit zu lang. Er macht Das Bächlein tückisch trübe, Und eh ich es gedacht, So zuckte seine Rute, Das Fischlein zappelt dran, Und ich mit regem Blute Sah die Betrogne an. Das ihr am goldnen Quelle Der sichern Jugend weilt, Denkt doch an die Forelle; Seht ihr Gefahr, so eilt! Meist fehlt ihr nur aus Mangel Der Klugheit. Mädchen, seht Verführer mit der Angel! Sonst blutet ihr zu spät.

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Ernst Stadler * 1883 in Kolmar/Elsaß + 1914 gefallen bei Ypern/Flandern Der Aufbruch Einmal schon haben Fanfaren mein ungeduldiges Herz blutig gerissen, Daß es, aufsteigend wie ein Pferd, Sich wütend ins Gezäum verbissen. Damals schlug Tambourmarsch den Sturm auf allen Wegen, Und herrlichste Musik der Erde hieß uns Kugelregen. Dann, plötzlich, stand Leben stille. Wege führten zwischen alten Bäumen. Gemächer lockten. Es war süß, zu weilen und sich versäumen, Von Wirklichkeit den Leib so wie von staubiger Rüstung zu entketten, Wollüstig sich in Daunen weicher Traumstunden einzubetten. Aber eines Morgens rollte durch Nebelluft das Echo von Signalen, Hart, scharf, wie Schwerthieb pfeifend. Es war wie wenn im Dunkel plötzlich Lichter aufstrahlen. Es war wie wenn durch Biwakfrühe Trompetenstöße klirren, Die Schlafenden aufspringen und die Zelte abschlagen und die Pferde schirren. Ich war in Reihen eingeschient, die in den Morgen stießen, Feuer über Helm und Bügel, Vorwärts, in Blick und Blut die Schlacht, mit vorgehaltnem Zügel. Vielleicht würden uns am Abend Siegesmärsche umstreichen, Vielleicht lägen wir irgendwo ausgestreckt unter Leichen. Aber vor dem Erraffen und vor dem Versinken Würden unsre Augen sich an Welt und Sonne satt und glühend trinken.

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Fahrt über die Kölner Rheinbrücke bei Nacht Der Schnellzug tastet sich und stößt die Dunkelheit entlang. Kein Stern will vor. Die ganze Welt ist nur ein enger, nachtumschienter Minengang, Darein zuweilen Förderstellen blauen Lichtes jähe Horizonte reißen: Feueerkreis Von Kugellampen, Dächern, Schloten, dampfend, strömend .. nur sekundenweis .. Und wieder alles schwarz. Als führen wir ins Eingeweid der Nacht zur Schicht. Nun taumeln Lichter her .. verirrt, trostlos vereinsamt .. mehr .. und sammeln sich .. und werden dicht. Gerippe grauer Häuserfronten liegen bloß, im Zwielicht bleichend, tot -- etwas muß kommen .. o, ich fühl es schwer Im Hirn. Eine Beklemmung singt im Blut. Dann dröhnt der Boden plötzlich wie ein Meer: Wir fliegen, aufgehoben, königlich durch nachtentrissne Luft, hoch übern Strom. O Biegung der Millionen Lichter, stumme Wacht, Vor deren blitzender Parade schwer die Wasser abwärts rollen. Endloses Spalier, zum Gruß gestellt bei Nacht! Wie Fackeln stürmend! Freudiges! Salut von Schiffen über blauer See! Bestirntes Fest! Wimmelnd, mit hellen Augen hingedrängt! Bis wo die Stadt mit letzten Häusern ihren Gast entläßt. Und dann die langen Einsamkeiten. Nackte Ufer. Stille. Nacht. Besinnung. Einkehr. Kommunion. Und Glut und Drang Zum Letzten, Segnenden. Zum Zeugungsfest. Zur Wollust. Zum Gebet. Zum Meer. Zum Untergang.

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Theodor Storm * 1817 in Husum/Schleswig + 1888 in Hademarschen/Holstein Die Stadt Am grauen Strand, am grauen Meer Und seitab liegt die Stadt; Der Nebel drückt die Dächer schwer, Und durch die Stille braust das Meer Eintönig um die Stadt. Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai Kein Vogel ohn Unterlaß; Die Wandergans mit hartem Schrei Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei, Am Strande weht das Gras. Doch hängt mein ganzes Herz an dir, Du graue Stadt am Meer; Der Jugend Zauber für und für Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir, Du graue Stadt am Meer.

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Im Herbste Es rauscht, die gelben Blätter fliegen, am Himmel steht ein falber Schein; du schauerst leis und drückst dich fester in deines Mannes Arm hinein. Was nun von Halm zu Halme wandelt, was nach dem letzten Blumen greift, hat heimlich im Vorübergehen auch dein geliebtes Haupt gestreift. Doch reißen auch die zarten Fäden, die warme Nacht auf Wiesen spann -- es ist der Sommer nur, der scheidet; was geht denn uns der Sommer an! Du legst die Hand an meine Stirne und schaust mir prüfend ins Gesicht; aus deinen milden Frauenaugen bricht gar zu melancholisch Licht. Erlosch auch hier ein Duft, ein Schimmer, ein Rätsel, das dich einst bewegt, daß du in meine Hand gefangen die freie Mädchenhand gelegt? O schaudre nicht! Ob auch unmerklich der hellste Sonnenschein verrann -- es ist der Sommer nur, der scheidet; was geht denn uns der Sommer an!

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Mondlicht Wie liegt im Mondenlichte begraben nun die Welt; wie selig ist der Friede, der sie umfangen hält! Die Winde müssen schweigen, so sanft ist dieser Schein; sie säuseln nur und weben und schlafen endlich ein. Und was in Tagesgluten zur Blüte nicht erwacht, es öffnet seine Kelche und duftet in die Nacht. Wie bin ich solchen Friedens seit lange nicht gewohnt! Sei du in meinem Leben der liebevolle Mond!

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Noch einmal! Noch einmal fällt in meinen Schoß die rote Rose Leidenschaft; noch einmal hab ich schwärmerisch in Mädchenaugen mich vergafft; noch einmal legt ein junges Herz an meines seinen starken Schlag; noch einmal weht an meine Stirn ein juniheißer Sommertag.

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Sankt Nikolaus Von drauß´ vom Walde komm´ ich her, ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr! Allüberall auf den Tannenspitzen sah ich goldene Lichtlein blitzen. Und droben aus dem Himmelstor sah mit großen Augen das Christkind hervor. Und wie ich so strolcht durch den finsteren Tann, da rief´s mich mit heller Stimme an: »Knecht Ruprecht«, rief es »alter Gesell, hebe die Beine und spute dich schnell. Die Kerzen fangen zu brennen an, das Himmelstor ist aufgetan, Alt´ und Junge sollen nun von der Jagd des Lebens einmal ruh´n. Und morgen flieg ich hinab zur Erden, denn es soll wieder Weihnachten werden.« Ich sprach: »O lieber Herre Christ, meine Reise fast zu Ende ist. Ich soll nur noch in diese Stadt, wo´s eitel gute Kinder hat.« »Hast denn das Säcklein auch bei dir?« Ich sprach: »Das Säcklein, das ist hier; denn Äpfel, Nuß und Mandelkern essen fromme Kinder gern.« »Hast denn die Rute auch bei dir?« Ich sprach: »Die Rute, die ist hier; doch für die Kinder nur, die schlechten, die trifft es auf den Teil, den rechten.« Christkindlein sprach: »So ist es recht; so geh´ mit Gott, mein treuer Knecht.« Von drauß´ vom Walde komm ich her; Ich muß euch sagen, es weihnachtet sehr! Nun sprecht, wie ich´s hierinnen find! Sind´s gute Kind, sind´s böse Kind?

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Weihnachtslied Von Himmel in die tiefsten Klüfte Ein milder Stern herniederlacht; Vom Tannenwalde steigen Düfte Und hauchen durch die Winterlüfte, Und kerzenhelle wird die Nacht. Mir ist das Herz so froh erschrocken, Das ist die liebe Weihnachtszeit! Ich höre fernher Kirchenglocken Mich lieblich heimatlich verlocken In märchenstille Herrlichkeit. Ein frommer Zauber hält mich wieder, Anbetend, staunend muß ich stehn; Es sinkt auf meine Augenlider Ein goldner Kindertraum hernieder, Ich fühl´s ein Wunder ist geschehn.

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Ludwig Uhland * 1787 in Tübingen + 1862 in Tübingen Der gute Kamerad Ich hatt einen Kameraden Einen bessern findst du nit. Die Trommel schlug zum Streite, Er ging an meiner Seite In gleichem Schritt und Tritt Eine Kugel kam geflogen, Gilt´s mir oder gilt es dir? Ihn hat es weggerissen, Er liegt mir vor den Füßen, Als wär´s ein Stück von mir. Will mir die Hand noch reichen, Derweil ich eben lad. Kann dir die Hand nicht geben, Bleib du im ewgen Leben Mein guter Kamerad!

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Einkehr Bei einem Wirte, wundermild, Da war ich jüngst zu Gaste; Ein goldner Apfel war sein Schild An einem langen Aste. Es war der gute Apfelbaum, Bei dem ich eingekehret; Mit süßer Kost und frischem Schaum Hat er mich wohl genähret. Es kamen in sein grünes Haus Viel leichtbeschwingte Gäste; Sie sprangen frei und hielten Schmaus Und sangen auf das beste. Ich fand ein Bett zu süßer Ruh Auf weichen, grünen Matten; Der Wirt, er deckte selbst mich zu Mit seinem kühlen Schatten. Nun fragt ich nach der Schuldigkeit, Da schüttelt´ er den Wipfel. Gesegnet sei er allezeit Von der Wurzel bis zum Gipfel!

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